Moryn – Terra incognita Transoderana

Ein Kurztrip im Sommer

Moryn in Westpolen liegt nah an der deutschen Grenze und ist von Berlin aus innerhalb von 2 Stunden zu erreichen. Historisch gesehen, gehört dieses Gebiet zur Neumark oder Terra transoderana, was soviel heißt wie Land jenseits der Oder. So könnte man auch Brandenburg bezeichnen, ist halt alles eine Frage der Perspektive.

Mit 1600 Einwohnern ist es die kleinste Stadt der Region und liegt am Jezioro Morzycko, dem Mohriner See. Angepriesen werden noch zahlreiche Tümpel und Felder. Ja, im Süden soll es sogar Wälder geben! Das Städtchen ist fernab von Hauptverkehrsstraßen gelegen. Der Verfasser der Wegbeschreibung hielt es für wichtig zu erwähnen, dass die Straßen sehr gut sind. Dies kann ich an dieser Stelle bestätigen, schließlich liegt Polen nicht im zentralasiatischen Hochgebirge oder in Kasachstan!

Die Geschichte

Die Geschichte dieses schönen Fleckchen Erde war wechselhaft. Es wechselte nämlich sehr oft den Besitzer. Zuerst siedelten sich die Slawen, später auch Germanen an. Ein paar Jahrhunderte stritten sich immer wieder mal die Polen mit den Pommern. Je nach Kriegsglück war dann das Land mal im Besitz der einen oder der anderen Seite. Von den Polen und  den später nachrückenden deutschen Siedlern (hier würde mein Geschichtsprofessor anmerken, dass man von deutschen Siedlern nicht sprechen kann. Das wäre ahistorisch! Mein Studium ist aber vorbei und ich werde mit diesem Blog bestimmt keinen Doktortitel erwerben!) wurde das Land christianisiert.

Bis zur Eingliederung in das Kurfürstentum Brandenburg gehörte das Land mal dem polnischen König, den Wittelsbachern und Luxemburgern, die sich alle nicht so recht um die Bewirtschaftung kümmern wollten. Das Land wurde an dem Deutschen Orden verpfändet, die es nach Jahren der Misswirtschaft an die Hohenzollern zuerst verpfändeten und zum Schluss verkauften. Unter dem Hohenzollern Markgraf Hans von Küstrin war es kurzzeitig ein selbstständiges Staatsgebilde, wo nochmals schnell die Reformation ins Land Einzug hielt. Weil er und sein Bruder keine männlichen Nachkommen hatten, fiel das Land dem Kurfürsten von Brandenburg zu und wurde danach als Neumark bezeichnet. Seit 1945 ist die Neumark polnisch. Der einfachen Bevölkerung wird es wenig gekümmert haben, an wen sie die Steuern zu entrichten hatten. Die steigen ja sowieso immer! 

Die Sagen Moryns

Einige Sagen ranken sich um die Stadt. So soll auf dem Boden des Sees ein Krebs leben, der angekettet ist. Wenn der See tost, ist er wütend und Gott bewahre, er reißt sich eines Tage von den Ketten los. Dann gehen alle Errungenschaften der Neuzeit verloren. Diese Nachricht würde nur AFD-Wähler freuen! Das wollen wir natürlich nicht!

Einer weiteren Sage nach, werden die Einwohner Mohrins auch Bärenstäker genannt. Anscheinend haben die Einwohner eines Tages einen großen Mann mit einem Bären verwechselt und aus der Stadt gejagt und ernteten dafür reichlich Spott. Während unseres Aufenthalts hat weder der See getost noch wurden wir aus der Stadt gejagt. Glück gehabt! Ich bin zwar nicht groß, rieche aber manchmal wie ein Bär!

Was gibt es zu entdecken?

Ansonsten ist die Gegend eher eine touristische Terra incognita. Aber nicht nur für uns. Die Gegend taucht noch nicht mal in diversen Reiseführern auf und man muss schon etwas im Internet nach Informationen suchen. Ich bin eher zufällig auf die Stadt aufmerksam geworden. Ich hatte nach Seen gesucht, wo man in der Nähe Berlins tauchen kann und fand eine Seite, wo stand, dass im Mohriner See ein abgestürztes sowjetisches Flugzeug liegt. Das war 2018 und von mir wieder ziemlich schnell vergessen. Meine bessere Hälfte fand letztes Jahr Moryn und ist nun felsenfest der Überzeugung, dass Sie dieses Städtchen für uns als Reiseziel entdeckt hat. Jetzt ist unser Eheleben um eine ungeklärte Diskussion bereichert. 

Moryn ist ein sehr schönes Städtchen. Es wurde vom Krieg verschont und die Altstadt ist von einer alten Stadtmauer aus dem 14 Jhd. komplett umgeben. Übernachtet haben wir in einer alten, umgebauten Schule, deren Hinterhof direkt an der Stadtmauer endet. Wenn das Zimmer zum Hinterhof raus geht, ist der Ausblick sehr schön. Da es die Südseite ist, werden die Zimmer sehr warm im Sommer und deswegen schliefen wir auf der anderen Seite. Als Ausblick gab es einen Baum. Auch schön! Die Willa Moryn kann ich sehr empfehlen. Die Zimmer sauber, die Gastgeber sehr freundlich und hilfsbereit und ein reichhaltiges Frühstück. Hier könnt ihr euch einen eigenen Eindruck verschaffen.

Stadtmauer an der Willa Moryn

In Moryn gibt es einen Badestrand mit Restaurant. Zu einem Spaziergang lädt die Strandpromenade, ein Rundgang um die Stadtmauer oder durch das mittelalterliche Städtchen ein. Kann man alles innerhalb von 2 Stunden machen. Der Ort ist sehr schön, sehr klein und die ruhige mittelalterliche Atmosphäre zieht einen in den Bann. Auf der anderen Seite des Sees gibt es bei Gadno einen Strand, der ruhiger ist und es gibt sogar eine öffentliche verschlossene Toilette. 

Steine und Sensationen!

Und vor den Stadtmauern harrt noch ein Highlight für Freunde der gepflegten Steinebeobachtung. Über dieses spannende und adrenalingeladene Hobby habe ich schon berichtet und siehe da, hier gibt es noch etwas Interessantes zu sehen:

Vor dem Stadttor lagen einige Steine aus der Eiszeit faul rum und sonnten sich. Man vermutet, dass die Steine der Natur ihrer Gene freien Lauf ließen und sich dort absichtlich ansiedelten. Jedenfalls konnten im Laufe der Jahre einige spannende Beobachtungen gemacht werden. Wenn es kalt ist, dann ist es Winter. Wenn die Steine nass sind, dann regnet es und wenn sie heiß sind, dann ist es Sommer. Ich bin mir sicher, dass diese empirischen Beobachtungen unsere Weltansichten revolutionieren werden und unser Denken von Grund auf verändern werden.

Die wahren Sensationen, die sich nach Generationen langer Beobachtung ergeben haben, sind die weltberühmten Windkanter von Moryn. Das sind Findlinge, die dem Wind in der Eiszeit ausgesetzt waren. Eine Seite des Steins war dem Gletscher zugewandt und dem Fallwind vom Gletscher ausgesetzt. Der mit transportierte Sand schliff die windzugewandte Seite im Laufe der Jahre ab und glättete sie. Ist das nicht der Wahnsinn! Diese Erkenntnis ergab sich aus der symbiotischen Beziehung, die Steinebeobachter mit den Steinen eingehen. Wir bezeichnen uns selber als Suchlinge, die nicht ohne Findlinge existieren können und umgekehrt. Daher ist kein Hobby, sondern eine Berufung.

Gleichzeitig erfährt der geneigte Leser, dass diese Steine aus der Eiszeit mitnichten heimisch sind. Nein, sie stammen aus Skandinavien, genauer gesagt aus Süd- und Mittelschweden. Warum brachen sie aus dem schönen Schweden auf und machten sich auf Wanderschaft? Wollten sie wie die Wikinger auf Raubzüge gehen oder war es die reine Abenteuerlust? Ließen Sie ihre Familie zurück und sind einige von Ihnen nach Jahren der Wanderschaft wieder zurückgekehrt? Jedenfalls ist es schön zu sehen, dass die europäische Steingeschichte schon immer eine migrantische Geschichte war und bis heute ein Schmelztiegel der Kulturen darstellt. Ich beobachtete die Steine ein Weile und sah nichts. Heute waren sie jedenfalls nicht sehr aktiv.

Fazit

Als Fazit kann ich Moryn als Kurztrip empfehlen. Das Städtchen ist sehr reizvoll, sehr ruhig und die Landschaft schön. Wunderschöne Sonnenuntergänge sind über den Feldern und über den See zu bewundern. Nur eines sollte man beachten: Die kulinarische Auswahl ist eher spärlich gesät. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Zum Abschluss ein Sonnenuntergang. Die funktionieren immer!

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